lebensfroh!

Das Heilangebot für Menschen am Rand

„Jede Blume auf der Wiese ist eine Sache, die ich kann.“

Ehemalige Klientin von lebensfroh!


Interview mit der Sozialpädagogin Nieves Kuhlmann über das therapeutische Pallotti-Mobil-Projekt ‚lebensfroh!‘

Frau Kuhlmann, was braucht man eigentlich, um lebensfroh zu sein?
(lacht überrascht) Was der Mensch braucht, um lebensfroh zu sein? Also ich merke bei meinen Klient:innen: Eingebunden sein, Gemeinschaft, Geliebtwerden. Zu wissen: jemand mag mich, das ist ganz wichtig. Und: irgendwo dazugehören. Einen Platz im Leben finden.

Welche Menschen kommen zu Ihnen? Warum reichen die Therapieangebote auf Rezept und Krankenkasse nicht aus?

Lebensfroh wird von sehr unterschiedlichen Menschen mit verschiedenen Fragestellungen aufgesucht: So kommen etwa Menschen aus dem Kiez, die von Wohnungslosigkeit bedroht sind, Menschen, die Probleme in ihren Beziehungen haben oder Menschen mit psychischen Erkrankungen.

Wertschätzend und offen: Sozialpädagogin Nieves Kuhlmann

Und oft auch Menschen, die nur schwer einen Zugang zum Hilfesystem finden. Gerade in Notsituationen bedeutet eine längere Wartezeit auf eine therapeutische Unterstützung eine große Hürde. Unser Angebot hingegen ist niedrigschwellig.

Lebensfroh kümmert sich ja besonders um Menschen,
für die es sonst noch wenig Therapieangebote gibt…

Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen liegen mir besonders am Herzen. Da schließen wir eine Lücke. Also etwa Menschen mit Down-Syndrom oder einem frühkindlichen Hirnschaden. Das kann zu Denk – und Lernschwierigkeiten führen. Viele von ihnen können nicht lesen und schreiben. Aber sie kommen mit den gleichen Problemen zu mir wie jede:r andere auch: es geht ganz viel um Sich-Auseinandersetzen mit sich selbst: Warum bin ich so wie ich bin? Viele leben in Wohngemeinschaften: Wie gehe ich mit Streit um? Partnerschaft ist ein großes Thema: Ich möchte eine/n Partner:in, ich möchte keine/n Partner:in mehr… wie mache ich das? Dann geht es auch immer wieder um Konflikte auf der Arbeit oder um die Ablösung vom Elternhaus.

Was ist Ihr therapeutischer Ansatz?

Wichtig in den Gesprächen ist eine sehr wertschätzende Grundatmosphäre. Die systemische Therapie schaut mehr darauf, was geht. Und nicht auf das, was nicht geht. Da gibt’s eine schöne therapeutische Methode: Ich habe die Klientin gebeten, eine Blumenwiese zu malen auf der jede Blume für eine Sache steht, die sie kann. Zunächst kam die Antwort, dass sie nicht lesen könne. Nach und nach fielen ihr dann Dinge ein: “Ich kann mich um meine Pflanzen kümmern; ich kann den Tisch decken; ich kann anderen helfen.“ Das Bild war danach voller Blumen. Wir gucken also auch nach kleinen Dingen. Das war wirklich ein Highlight bei dieser Klientin. Und sie meinte dann: „Wahnsinn! Das kann ich alles!“

Pallotti-Mobil hat ja das Motto: Bedürftige helfen Bedürftigen. Ursprünglich war das nur auf Menschen in Maßnahmen vom Jobcenter bezogen, die anderen helfen. Wo kennen Sie selbst bei sich Bedürftigkeit?

Auftanken und Loslegen! Die Kirche St. Christophorus in der Neuköllner Nansenstr. ist fast immer offen.

Meine Bedürftigkeit liegt nicht im Materiellen. Da geht es eher um das In-Gemeinschaft-Sein, also zu merken: alleine bin ich nicht so gut wie in Gemeinschaft. Ich brauch‘ dann halt auch mein Team und meine Leute drumherum. Und Bedürftigkeit ist dann auch spirituell: Mich eben da wieder aufzutanken. Und natürlich gibt es auch in meinem Leben Situationen, wo ich mir Hilfe hole. Eher im emotionalen Bereich. Mein Leben ist auch nicht nur schön und bunt, manchmal auch etwas holprig. Übrigens ist lebensfroh! aus der sozialpädagogischen Begleitung von Mitarbeiter:innen hervorgegangen, langzeitarbeitslosen Menschen, die mit Krankheiten und vielfältigen Belastungen zu kämpfen haben und die bei Pallotti-Mobil mit Hilfe verschiedener Maßnahmen des Jobcenters eine neue Perspektive bekommen.

Wie finanziert sich diese Arbeit für die Menschen überhaupt?

Über Spenden. Von Menschen, die die Arbeit von lebensfroh! oder die von Pallotti-Mobil insgesamt wichtig finden.

Welches Erlebnis war für Sie besonders bereichernd?

Wenn ein Mensch zu mir kommt, der sehr am Boden ist, das nehme ich sehr ernst, Ich bin da die Hoffnungsträgerin. Wenn ein Mensch das gerade nicht kann, weil sie oder er gerade so traurig ist, ist das völlig okay. Das halte ich mit aus und ich übernehme den Part der Hoffnung, dass es irgendwann wieder bergauf geht.

Ich hol‘ mir die Sonne! – Graffiti in der Reuterstr.

Bei einer Frau ging es um innere Standortbestimmung. Wie kann ich gut durchs Leben gehen, innere Stärke entwickeln? Sie ist gerne zu mir gekommen. Es gab dann aber eine Unterbrechung, und als ich anbot, die Gespräche wieder aufzunehmen, meinte sie: „ Erstmal nicht. Das war so toll bei dir, dass du mir immer so gut zugehört hast. Mir geht’s immer noch so gut. Danke!“

Gibt’s überhaupt so etwas wie Heilung?

Ganz geheilt? Wir Menschen sind ja auch sehr verwundbar, und man kann uns auch sehr schnell wieder erschüttern. Wenn ich später nachfrage, sagen Menschen: „Ich bin heiler, ich fühle mich gerade wieder mehr wie ich selbst und mehr verbunden mit der Außenwelt.

Sie bieten ja auf Wunsch auch etwas ganz Besonderes an, was sonst Therapeut:innen kaum machen: Gebet und Segen. Was ist denn überhaupt Segen?

Segnen bedeutet, jemandem etwas Gutes tun. Wenn ich Segen anbiete, da spüre ich noch einmal so eine Verbundenheit, das ist etwas sehr Nahes, jemanden segnen. Gebet und Segnen haben etwas Tröstendes und Beschützendes. Auch mich stärkt Gebet und Segen in meiner Arbeit. Ich erinnere mich an eine Frau, die sehr gläubig ist und sehr mit der Jungfrau Maria verbunden.

Sie hatte viele Probleme, und da hatte ich ihr gesagt: „Wenn du in schwierigen Situationen bist, dann leg‘ dir einen blauen Schal um.“ Denn Maria wird oft mit einem blauen Mantel dargestellt. „Leg dir einen blauen Schal um, dann bist du nicht allein.“ Und das hat sie gemacht. Das tat ihr so gut, denn sie spürte eine Verbundenheit und ein Getragenwerden in diesen schwierigen Situationen.

Das Interview mit Nieves Kuhlmann führte Wolf Gebhardt.


Das haben wir mit Hilfe unserer Unterstützer:innen erreicht:

Im Jahr 2022 wurden 25 Klient:innen
von lebensfroh! begleitet.

Zielgruppe

  • Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen
  • Einzelpersonen, Paare, Familien, die Schwierigkeiten haben, Zugang zu anderen therapeutischen Angeboten zu bekommen.

Angebot

Wir begleiten Menschen, zum Beispiel bei:

  • Partnerschaftsproblemen
  • Problemen in zwischenmenschlichen Beziehungen
  • Trennung
  • persönlichen oder beruflichen Lebenskrisen
  • Krankheit oder Trauer.

Rahmenbedingungen

  • Ein Gespräch dauert in der Regel 45 Minuten.
  • Die Häufigkeit der Gespräche sprechen wir individuell ab.
  • Wir unterstehen der Schweigepflicht.
  • Wir kooperieren mit Trägern der Behindertenhilfe.
  • Finanzierung: Wir freuen uns über Spenden.

lebensMUT!

ist ein neues Projekt von lebensfroh! für Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung

In persönlichkeitsstärkenden Kursen bieten wir Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen die Möglichkeit, sich mit unterschiedlichen Themen wie Selbstbewusstsein, Single-Sein und Partnerschaft; Streit und Frieden sowie Stress und Entspannung auseinanderzusetzen.

Flyer

Begleiterinnen

Nieves Kuhlmann UAC

  • Dipl.-Pädagogin
  • Systemische Einzel-, Paar- und Familientherapeutin (DGSF)
  • Traumapädagogin
  • seit 2011 Sozialpädagogin bei Pallotti–Mobil e. V.
  • tätig beim Berliner Krisendienst

Iris Fierdag

  • Dipl.-Sozialpädagogin
  • Systemische Einzel-, Paar- und Familientherapeutin (DGSF)
  • Heilpraktikerin für Psychotherapie
  • Schulsozialarbeiterin

Fotos: W. Gebhardt
Texte: W. Gebhardt